Der Cicerone und der Phönix

Der Cicerone und der Phönix

February 3 – March 13, 2023, Galerie Elisabeth & Reinhard Hauff, Paulinenstr. 47, 70178 Stuttgart

Die neuen Arbeiten von Tim Berresheim sind Revisionen früherer Werke. Der Künstler verwendet alte Datensätze für einen Remix. Zusätzlich führt er eine betrachtende Person in das Bild ein, welche als impliziter Stellvertreter der Betrachtenden fungiert. Berresheim nennt diese Betrachterfigur „Cicerone“. Ein Cicerone ist ein Fremdenführer, der Besucher durch Ausstellungen, Museen oder zu historischen Sehenswürdigkeiten führt und sich durch Wissen, Kenntnis und Kompetenz gegenüber Laien auszeichnet. Sie ist eine Vermittlungsfigur zwischen den Betrachtenden und dem Bild. Die Revisionen werden von der Objekt- auf die Metaebene verschoben, in der die Beobachtung des Beobachteten wiederum beobachtet werden kann. Dadurch werden sie zu Medien der Selbstreflexion.

Die große Mehrzahl der Bilder besitzt Referenzen zu älteren Werken des Künstlers. Sobald man sie kennt, kann man sie auch sehen. Dafür benötigt man aber den Cicerone, den Fremdenführer im Bild und vor dem Bild. Berresheim bezieht sich mit seinen Ciceroni auf die „Bizzarie di varie figure“ („Kuriositäten verschiedener Figuren“, dt.) des florentinischen Künstlers Giovanni Battista Bracelli aus dem Jahre 1624. Es handelt sich meist um zwei Figuren, die miteinander interagieren und aus Kuben, Zylindern, Rauten oder Rechtecken aufgebaut sind. Sie gehen auf Versuche des Manierismus zurück, menschliche Proportionen auf räumliche Grundelemente zu reduzieren und daraus einen synthetischen Menschen, einen Homunkulus, zu konstruieren. Die „Bizzarie“ nehmen die Vektorgeometrie der Computergrafik vorweg. Sie sind auch Ausdruck der enormen Weiterentwicklung der Geometrie im Italien des 17. Jahrhunderts. Revisionen, Remixes oder Re-Konzeptionen älteren Werke sind Symptome künstlerischen Selbstreflexion. Woher komme ich und wohin gehe ich als Künstler? Die neuen Arbeiten erweitern die Perspektive der Betrachtenden. Sie spannen ein zeitliches Panorama auf, welches einerseits bis in die Anfänge von Berresheims Computerkunst zurückreicht und andererseits auf die Zukunft der digitalen Kunst spekulieren. Sie stellen eine Wette auf die Zukunft dar, sagt Berresheim selbst. In diesem reflexiven und historischen Selbstbewusstsein, welches gedanklich von der Steinzeithöhle bis in die Zukunft reichen kann, liegen die ästhetischen Bedeutungen und Bezüge der neuen Werke von Tim Berresheim.                  Hans Dieter Huber