AUGE UND WELT
Auge und Welt
20. September 2014 – 11. Januar 2015, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf, Grabbeplatz 4, 40213 Düsseldorf
Während digitale Techniken aus dem Alltag längst nicht mehr wegzudenken sind und zunehmend aktiv gestaltend sogar in unsere persönlichsten Lebensbereiche vordringen, scheint die Beschäftigung mit diesen Techniken aus künstlerischer Perspektive immer noch erst am Anfang zu stehen. Dabei haben Digitalität, Computing und Netzkultur massive Auswirkungen nicht nur auf die Herstellung, sondern vor allem auch auf die Vertriebs- und Wahrnehmungsweisen von Information, mithin auf deren generelle Struktur, und bestimmen dadurch mehr und mehr unser grundsätzliches Verständnis davon.
Allerdings wäre kurzschlüssig zu glauben, Kunst könnte in Digitalität, Computing und Netzkultur – im Sinne einer exponentiell sich erweiternden Materialpalette – expandieren, ohne dass sie durch diese Expansion ihrerseits nicht einen grundlegenden Wandel hinsichtlich ihrer Produktion und Rezeption erfahren würde. Tatsächlich steht der eigentlichen Wahrnehmung von Kunst, das, was einst als ästhetisches Erleben bezeichnet wurde, die Gewöhnung an ihre zunehmende Medialisierung gegenüber. Das erfolgt allein quantitativ in einem Ausmaß, das das Wesen der Kunst und ihre eventuelle Bestimmung mittlerweile auch qualitativ völlig neu konfiguriert erscheinen lässt.
In Tim Berresheims künstlerischer Arbeit nimmt der Computer weniger die Rolle eines künstlerischen Werkzeugs ein. Vielmehr sind Digitalität, Computing und Netzkultur gleichermaßen das Untersuchungs- und Operationsfeld, in dem Berresheim sein künstlerisches Projekt angesiedelt hat. Neben den exklusiv am Computer entstehenden, im durchaus traditionellen Sinne bildkünstlerischen, Arbeiten umfasst dieses außerdem eine umfangreich musikalische Produktion sowie Label- und Verlagsarbeit. Wichtig ist dabei der Aspekt der Selbstorganisation sowie die Einbeziehung gruppendynamisch-kollaborativer Prozesse, was sich nicht zuletzt im langjährigen (Mit-)Betreiben verschiedener Projekträume und den kürzlichen Gründungen von „Studios New Amerika“ und des „Institut für Betrachtung“ in Aachen und Köln widerspiegelt.
Auge und Welt bietet den bislang umfangreichsten Einblick in die verschiedenen Aspekte des seit 2003 dezidiert als Œuvre entwickelten Projekts von Tim Berresheim. Die Ausstellung setzt dabei verschiedene formal und inhaltlich aufeinander bezogene Komponenten ein: So sind auf einer eigens für die Ausstellungssituation entwickelten Wandtapete unterschiedliche Bildformate arrangiert, die kompositorisch komprimierte Inserts innerhalb einer visuell ausladenden Rahmenerzählung bilden; eine funktionale Bühne, skulpturale Variablen sowie ein Verkaufsdisplay mit einer breiten Palette von Merchandising-Artikeln erweitern das Tableau zum installativen Ganzen, das seine Brüchigkeit keineswegs verschleiert, sondern die Aufmerksamkeit für spezifische Details, für bestimmte Funktionen eher noch schärfen hilft.
Das prekäre Verhältnis vom Ganzen zum Detail kennzeichnet zugleich die digital, auch mittels in den Naturwissenschaften und der Militärtechnik Verwendung findenden Simulationsprogrammen, generierten Bilder Berresheims, die dennoch nicht auf handwerkliche Anteile der Zeichnung und des Grafikdesigns, subkulturelle Referenzen auf Comics und Tätowierungen, die Assoziation von Traumbildern oder Drogenerfahrungen verzichten wollen. Die überwältigende Prägnanz dieser Bilder, bei denen als Computer-Generated Images (CGI) erzeugte Motive, fotografische Einspielungen und digital emulierte Bewegungsprozesse miteinander verschmolzen und als High-Res-gerenderte Kompositionen als spezifisches Bildformat ausgedruckt oder ausbelichtet werden, scheint regelrecht in Konkurrenz zur Wirklichkeit treten zu wollen.
Die Faszination am konstruktivistischen Potenzial, dem algorithmisch perfektionierten „Als-ob“ digitaler Technologien hält dem Unbehagen an ihren, längst aktiv, realitätsbildenden Effekten die Waage. Auch deshalb ist es mehr als nur subkulturelle Folklore, wenn Berresheim am Moment des Kooperativen festhält, seine durch das DIY-Prinzip des Punk geformte künstlerische Praxis für Gruppendynamik, Improvisation und Selbstorganisation offenhält.
(Presstexte Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen Düsseldorf)