AUF DER PIRSCH
Auf der Pirsch
24. März – 5. Mai 2017, Galerie Reinhard Hauff, Paulinenstraße 47, 70178 Stuttgart
Auf der Pirsch lautet das Motto der zweiten Einzelausstellung von Tim Berresheim (*1975) in der Galerie Reinhard Hauff, die nun zwei Jahre nach The Cataract Juggernaut’15 (Oops, I did it again) eröffnet wird. Einmal mehr offeriert Berresheim bis dato ungesehene digitale Bildwelten sowie höchst komplexe, gleichzeitig aber hochgradig spielerische Arrangements aus digitalen und analogen Bildelementen, die das Bedürfnis nach einem Update des aktuellen Wissens über künstlerische Produktionsweisen hervorrufen dürfte. Wie schon bei den zwei Einzelausstellungen im vergangenen Jahr Cro Magnon 4.0 Cave Paintings (Reutlingen, Vitamin) und Aus alter Wurzel neue Kraft (Los Angeles, Galerie Meliksetian Briggs) eignet sich Berresheim auch mit Auf der Pirsch ein auf den ersten Blick nicht unbedingt naheliegendes Themengebiet an, das zum einen den Anlass für ein kohärentes ikonographisches Programm liefert, zum anderen aber auch als Sinnbild für die gegenwärtige Situation von Kunstproduktion und -betrieb dient.
Blätter der unterschiedlichsten Bäume und Sträucher werden ebenso wie Äste, Pilze und Felsbrocken, Mausefallen oder ein Waldhorn zu elementaren Bestandteilen von ausgesprochen dichten, detailreichen und farbintensiven Kompositionen. All diese Objekte tauchen in ihrer Vielfalt nun allerdings nicht nur in den für Berresheim charakteristischen Arrangements auf, d.h. in Bewegung innerhalb eines dreidimensionalen, virtuellen Raumes festgehalten, sondern finden sich auch aneinandergereiht und gruppiert auf einer mit Mein Revier überschriebenen weißen Fläche wieder. Diese tableauartige Präsentation erinnert an die taxonomischen Ordnungsprinzipien naturwissenschaftlicher Museen, gleichwohl zeugt die durch die Zeichnungen und Beschriftungen strukturierte Anordnung in erster Linie, und trotz Verwendung einschlägiger Fachbegriffe, von einer vorrangig künstlerischen Herangehensweise. Die markanten Felsbrocken des Tableaus spielen auch in der demnächst folgenden, hier aber schon mit einer Arbeit vertretenen Werkgruppe Lichtungen eine markante Rolle – auch wenn, oder gerade weil sie unsichtbar bleiben und nur während der Entstehung der Arbeiten zum Einsatz kommen.
Es sind, zumindest für Berresheims ungegenständlich anmutende Bilder, ungewöhnlich dicke, oberflächlich an Knetgummi erinnernde Formationen, die während ihres Entstehungsprozesses um diese Hindernisse mäandern. Der Zufall spielt bei der Genese dieser dichten Strukturen, die sich quasi eigenständig, regelrecht traumwandlerisch im Bildraum bewegen, eine größere Rolle, wenngleich, wie beispielsweise durch die Quaderform der Struktur angedeutet wird, vorab angelegte Zwangsjacken die Spielräume dieses Prozesses limitieren. Nichtsdestotrotz resultiert ein Werk wie Lichtung II aus dem gemeinsamen Spiel, der partnerschaftlichen Beziehung von Mensch und Computer. Das Thema des Pirschens wird in der Wechselwirkung zwischen verschlungenen Gebilden und Aussparungen, zwischen Dickicht und Lichtung wieder aufgegriffen, ist allerdings, wie auch bei den übrigen Arbeiten in der Ausstellung, nicht nur ästhetisch, sondern auch sinnbildlich zu lesen: Als Suche nach einer Fährte angesichts neuer Bildherstellungsoptionen, aber auch neuer Arbeits- und Organisationsstrukturen, die die gegenwärtige, vor allem von Digitalität geprägte Zeitenwende einfordert. Mit der Gründung des Studios New Amerika, einer Computerfirma für Ästhetische Praxis, wird Berresheim in diesem Jahr das Prinzip der Pirsch von dem virtuellen und metaphorischen Bildraum auf den von kunstbetrieblichen und wissenschaftlichen Herausforderungen geprägten Realraum übertragen.