AEI23 TRAIL (BLAZER)
Hans-Jürgen Hafner
Sicher auch forciert durch seine institutionellen Ausstellungen im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf bzw. im Ludwig Forum Aachen ist in letzter Zeit der technische Aspekt der künstlerischen Arbeit von Tim Berresheim geradezu unübersehbar in den Vordergrund gerückt.
Die beiden Projekte ergänzten sich dabei sozusagen perspektivisch: indem die Düsseldorfer Schau ganz der Aktualität und – noch bis in die bühnenhaft-gesamtkunstwerklerische Installation hinein – dem gerade auch auf technologischer Ebene auf up-to-dateness bzw. Präsenz setzenden Charakter von Tims Werk verpflichtet war, während die Aachener Retrospektive allein schon durch die gezeigte Werkauswahl ganz verschiedener bildkünstlerischer Produktions- und Darbietungsformate aus einem Zeitraum von rund fünfzehn Jahren dieses Werk sozusagen mit der technologischen Entwicklung, einerseits in der Herstellung (CGI-bezogene Software, Renderingkapazitäten etc.) und andererseits der Darstellung (fotografische Ausbelichtung, digitale Drucktechniken etc.), parallelisierte. Dieser move war konzeptionell sehr bewusst eingefädelt und wurde – insgesamt ein wesentlicher Baustein der komplexen Syntax, mit der Tim seine auf verschiedenen Ebenen stattfindenden Projekte von der eigentlichen bildkünstlerischen Produktion über das musikalische Output bis hin zur Verlags- und Labelarbeit im Rahmen der Studios New Amerika zur Architektur eines mustergültigen Oeuvres zusammenfügt – von einem suggestiven wording begleitet. Dieses stand, auch ikonographisch in Form eines comicartigem, ein Handbuch zeigenden, Aufstellerobjekts fixiert, unter dem prägnanten Leitmotiv „How to“ und dockte damit offensichtlich an das Thema ‚Manual’, das damit verbundene Problemfeld skills – also im weitesten Sinne Wissenserwerb und -anwendung – an.
Dabei sollte man sich von einem lustvoll ausgestellten und als regelrechtes Kräftemessen mit rechnertechnologischen/darstellungstechnischen Innovationen in Szene gesetzten Technizismus nicht gleich ins Bockshorn jagen lassen. Nicht nur, dass in Tims künstlerischem Projekt insgesamt ein zumal für Laien im Bereich Computer-generierter Bilder (CGI) mit vielfältigen kommerziellen, massenmedialen, ästhetischen und wissenschaftlichen Anwendungsbereichen etwa in der Gaming- und Unterhaltungsindustrie bis hin zur Verwendung im militärisch-technologischen Komplex ziemlich esoterisch anmutendes Expertenwissen auf bodenständige DiY-Praxis stößt; Profi-, Nerd- und Amateurtum kämpfen dabei letztlich unentschieden um die Oberhand. Im Fokus auf das „How to“ ist konzeptionell zudem eine doppelte Blickrichtung angelegt. Diese richtet sich nicht nur, sozusagen produktionsästhetisch, nach die Frage „Wie ist das gemacht?“ sondern will den Betrachter_innen der Bilder auf rezeptionsästhetischem Weg, und darin ein gutes Stück weit didaktisch, die Frage mit auf den Weg geben: „Wie wollen diese Arbeiten angeschaut werden?“ – z. B. wie lange, wie genau, mit wie viel Vergnügen oder Verzweiflung angesichts einer technisch, motivisch, konzeptionell und wirkungsästhetisch kalkulierten Hyperkomplexität. Wie ernst es Tim um die Sache in der konkreten Anwendung war, wie vehement er sich dem „wie?“ als für alle Beteiligten gleichermaßen zu nehmende Hürde widmete, kann man daran bemessen, dass der mit Erklärungen üblicherweise sehr zurückhaltende Künstler gleich noch das Problem der Vermittlung – in Formaten wie Führung, Seminar, Tutorial sowie verschiedenen Lernmitteln, Broschüren und Filme – mitbearbeitete und offensiv öffentlich austrug.
Stand in den letzten Großprojekten wie gesagt das „wie?“ im Mittelpunkt, ist mit der neuen, mittels einer Präsentation bei dem Kölner Kunstbuchantiquariat Schuelke Fine Books das „was?“ zurück, das einem – mir inklusive – regelrecht reflexhaft auf die Lippen kommt, wenn man wieder einmal neue Arbeiten von Tim Berresheim zu sehen bekommt.
Was – man möchte mit Rückgriff auf Tims eigene „WTF“-Serie, sprich: W(hat) T(he) F(uck), hinzufügen: zum Teufel – ist das nun wieder? Was bringt diese „I’ll read it to you: AEI23 Trail (Blazer)“ überschriebene und unter ausgiebiger Verwendung des Arnold Renderers entstandene Werkgruppe ins Spiel? Was ist in diesen Arbeiten überhaupt zu sehen und welche Interpretationsangebote könnten darin angelegt worden sein?
Nicht, dass ich darauf auch schon eine Antwort parat hätte. Die bisherigen, als mittelformatige Digitaldrucke auf Papier realisierten Arbeiten zum Plot sind, was das explosiv aufreißende Farbspektrum betrifft, meines Erachtens wieder einmal echte trailblazer im Dickicht des Anthropozän, die mich – Entschuldigung, Tim! – auf der kunsthistorischen Zeitleiste gleichwohl erst einmal zurückdenken lassen: Ich assoziiere mit diesen hochformatigen Porträts oder Büsten einander durchdringender Farbpartikelwolken, was etwa ein Albrecht Altdorfer zwischen (Bild-)Thema, z. B. einem als Figurenkonstellation aufgeführten religiösen Inhalt wie die „Flucht nach Ägypten“, und Parergon, z. B. dem landschaftlich-atmosphärischen Setting in dem dies stattfindet, in Bewegung und zum Hervortreten des Letzteren gebracht hat. Plötzlich ist da nämlich, wo vorher ‚Figur’ und damit ‚Thema’ war, ‚Hintergrund’ oder ‚Rahmen’. Diese fragile Relation ist dabei mehr und mehr in den Mittelpunkt gerückt und erscheint als in der Regel ziemlich undurchdringlicher, und ganz und gar in Strichelchen über Strichelchen gelegte grüntönig schillernder Farbmasse, als Wald eingekleidet. Auch, was das Verhältnis von ‚Bild’ und ‚Medium’ betrifft, war das ein kleiner Erdrutsch.
Es würde den Diskussionsspielraum unnötig verkleinern, darin sofort wieder einen neuen Inhalt zu wähnen und angesichts dieser Bilder, die allerdings ehr wohl von einem sehr realen Vorgang, der in ein theologisch verfasstes Weltbild eindringenden natura naturans handeln, gleich von der Erfindung der ‚Landschaft’ zu sprechen. Eher würde es sich lohnen, ganz genau draufzuschauen und dabei mindestens eine gedankliche Pendelbewegung zu vollziehen: vom „was?“ zum „wie?“ und back again.
Hans-Jürgen Hafner