AUS ALTER WURZEL NEUE KRAFT

Aus alter Wurzel neue Kraft

27. August – 19. November 2016 Meliksetian | Briggs, 313 N Fairfax Ave, Los Angeles, CA 90036

Die Galerie Meliksetian | Briggs präsentiert die erste Einzelausstellung von Tim Berresheim in den Vereinigten Staaten seit 2010, als die Bildserie „Phoenix – The Guilty Pleasure“ in Los Angeles (Patrick Painter Inc) sowie die programmatische Ausstellung „Future Gipsy Antifolklore (What?!)“ in New York (Marc Jancou) zu sehen waren. Entsprechend der New Yorker Präsentation ist auch der aktuelle Ausstellungstitel, „Aus alter Wurzel neue Kraft“, als ein weiteres, für Berresheims gesamtes Ouevre programmatisches Bekenntnis zur Gegenwart – genauer gesagt: zur Transformation traditioneller Bild- und Repräsentationskonzepte mittels der medialen, technischen Möglichkeiten einer vor allem durch die fortschreitende Digitalisierung geprägten Gegenwart – zu lesen. Es handelt sich gleichzeitig um ein Motto der deutschen Schützenbrüderschaften aus dem frühen 20.Jahrhundert, das in der Regel von einem Baumstumpf, aus dem ein neuer Zweig sprießt, illustriert wird.

Die „alte Wurzel“, auf die sich die Arbeiten beziehen, ist nicht nur das Tafelbild als nach wie vor, ja mehr denn je prominenteste Präsentationsform von Bildender Kunst, sondern auch der Computer, der seit nunmehr gut 50 Jahren als Tool zur Bildgenese zur Verfügung steht, allerdings, so Berresheim, noch stets in erster Linie zur (zentralperspektivisch genormten) „Verdopplung von Welt“, also in limitiertem Maße genutzt wird. Symbolisiert wird die besagte Wurzel durch eine mit männlichen Zügen versehene Zitrone – zwar noch duftend aber gleichzeitig, wie auf dem Ausstellungsplakat zu sehen ist, auf Gehhilfe und Notizblock angewiesen. Wie schon die Figur des Wanderers, der als Symbol der aktuellen, oben angedeuteten Transitphase in der Einzelausstellung „Auge und Welt“ im Düsseldorfer Kunstverein 2014 auf den Plan trat, wurde auch sie von dem Zeichner Andi Thissen angefertigt. Erstmals werden im Rahmen von „Aus alter Wurzel neue Kraft“ die von Thissen konzipierten Figuren, die die zentralen Aspekte von Berresheims ästhetischem Konzept (wie Ambiguität, Kohärenz oder additives Wissen) versinnbildlichen, in Form einer eigenen druckgraphischen Werkgruppe präsentiert.

Zudem tauchen diese Geschöpfe auf der Körperoberfläche einer der für die jüngste Werkphase typischen „Aspettatori“ auf, die, wie bereits die markanten Figuren in den frühen Arbeiten, von ausgewählten Objekten, diesmal aus dem Themenbereich „Kraftaneignung“ (wie Boxhandschuhe oder Protein Supplement), umgeben ist. Kraft und Stärke wurden im Falle der bundesrepublikanischen Freiwilligen Selbstkontrolle – in den Linernotes zum Reissue ihres Debütalbums „Stürmer“ (1981) – mit Fröhlichkeit und Optimismus assoziiert. Dass sich die daraus resultierende, spezifische Form von Modernität einer antifolkloristischen Band, die schon auf ihrer ersten Single emphatisch „Ja zur Modernen Welt“ sagte, auf die dem gegenwärtigen Miserabilismus trotzenden Arbeiten Tim Berresheims übertragen lässt, ist kein Zufall. Die dichten, größtenteils abstrakten grafischen Arbeiten, die in dieser Ausstellung zu sehen sind, entwickeln die ohnehin komplexen Darstellungen der letzten Werkgruppen insofern weiter, als hier erstmals identifizierbare Objekte in die dichten Formationen aus fixierten kugel- und linienförmigen Spuren sowie gasförmigen Volumina eingearbeitet sind. Unterschiedlich ausgeprägte Bewegungsunschärfen werden nun miteinander verwoben, und haben nicht nur den Verzicht auf einen exklusiven Blickwinken, de facto ein Dehnen der Zentralperspektive, zur Folge, sondern repräsentieren gleichsam einen Versuch mittels einer tradierten Form von ästhetischer Produktion, dem Tafelbild, auf die Herausforderungen einer eminent komplexen, von nicht zu bewältigender Datendichte und unaufhörlichen Informationsströmen geprägten Gegenwart zu reagieren.